Bildungselemente

Kollaboratives Lernen mit Wikis - ein Überblick

13.5.2019

Warum Lernen mit Wikis sinnvoll ist und wie Beispielaufgaben aussehen können.

Wikis und Wikipedia

Jede Person, die das Internet nutzt, kennt die Wikipedia. Es ist eine (vielleicht sogar “die”) Ressource für Wissen im Internet. Ich erinnere mich noch an Zeiten, in denen ich für ein Schulreferat in die öffentliche Bibliothek gegangen bin, um mir zwei bis vier Bücher zu einem Thema auszuleihen. Das war der erste und einzige Weg für mich an die benötigten Informationen zu kommen. Heute lese ich unterwegs Wikipedia-Artikel und recherchiere gerade interessierendes oder benötigtes Wissen nebenbei. Die Wikipedia steht als Synonym für Wikis, allerdings ist sie nur eine spezielle Form der Realisierung eines Wiki-Systems. Wikis können noch viel mehr und sind zum Einsatz in kollaborativen Lernsettings sehr gut geeignet.

Was ist ein Wiki genau?

  • Ein Wiki ist eine Plattform, die im Internet oder in einem Netzwerk betrieben wird.
  • Nutzende können Seiten online erstellen und bearbeiten, ohne dass dafür Programmierkenntnisse oder weiteren Programme erforderlich sind.
  • Über die Wiki-Syntax können Seiten verknüpft werden, wodurch zwischen den einzelnen Seiten ein Netzwerk aus Bezügen entsteht.
  • Die Plattform protokolliert alle Änderungen, sodass jeder beliebige Bearbeitungsstand nachvollzogen und wiederhergestellt werden kann.

Im Grunde besteht ein Wiki aus einzelnen Webseiten, die miteinander verbunden sind. Diese Verbindung übernimmt das eigentliche Wiki-System, welches dann als Datenbank fungiert. Wiki-Systeme bieten nur eine sehr begrenzte Anzahl an Formatierungsmöglichkeiten. Das sorgt zum einen für eine sehr einheitliche Darstellung, was die Orientierung erleichtert, aber auch für einen bewussten Fokus auf die Inhalte. Die Versionskontrolle spielt eine entscheidende Rolle, da hierdurch Missbrauch entgegengewirkt werden kann und der Prozess der Bearbeitung nachvollziehbar wird. Zusätzlich bieten die meisten Wiki-Systeme zu jeder Seite auch eine Diskussionsseite, auf der Austausch über die Bearbeitung stattfinden kann. Neben dem eigentlichen Produkt, steht also auch der Entstehungsprozess selbst im Mittelpunkt der Schreibtätigkeiten (Moskaliuk 2013).

Wiki-Syntax

Es ist zwar richtig, dass keine besonderen Kenntnisse zum Erstellen und Bearbeiten von Wiki-Seiten notwendig sind, es gibt aber eine rudimentäre Syntax, die zur Formatierung verwendet wird und etwas an Markdown erinnert. Die Syntax ist besonders einfach gehalten (Beißwenger, Storrer, 2010), muss aber von Erstnutzenden erstmal erlernt und erprobt werden. Hier sind Lehrende aufgefordert einen besonderen Schwerpunkt bei der Einführung in die Arbeit mit Wikis zu legen (Notari, Döbeli Honegger, 2013b). Einige Wiki-Systeme bieten auch grafische Editieroberflächen an. Ob es das wirklich einfacher und bedienungsfreundlicher macht, kann man diskutieren. Drei Beispiele aus der Wiki-Syntax, welche für die grundlegenden Aktionen ausreichend sind:

Überschriften

== Überschrift Ebene 2 ==
=== Überschrift Ebene 3 ===

Unnummerierte Aufzählung

* Liste mit Punkt erste Ebene
** Liste mit Punkt zweite Ebene

Nummerierte Aufzählung

# Nummerierte Aufzählung erste Ebene
## Nummerierte Aufzählung zweite Ebene

Wiki-Prinzipien

Laut Johannes Moskaliuk setzen Wiki vor allem auf drei Prinzipien:

  1. Einfachheit (Benutzendenfreundlich, leichter Zugang durch Browser)
  2. Offenheit (Keine Benutzendenrollen notwendig, da Fehler im laufenden Arbeitsprozess korrigiert werden)
  3. Einladend (Keine Hürden zur Teilnahme, Design regt zum Mitwirken an)
    (Moskaliuk, 2013)

Die Wiki-Prinzipien legen eine Nutzung von Wikis für die Gestaltung von Lernprozessen bereits nahe. Dabei können Wikis sowohl in geplanten und geschlossenen Setting, wie auch in ungeplanten und offenen Settings verwendet werden.

Eine Wiki-Seite mit Inhaltsverzeichnis Eine Wiki-Seite mit dem oberen Teil einer Tabelle Editor-Ansicht einer Wiki-Seite mit der Wiki-Syntax Ansicht der Versionsgeschichte in einem Wiki. Es kann auch unübersichtlich werden

Entwicklung und Forschungsstand

Das erste bekannte Wiki wurde 1995 im Internet zur Verfügung gestellt und diente der Dokumentation von Softwareentwicklung (Döbeli Honegger & Notari, 2013). Die Wiki-Technologie bezieht sich auf die Ursprünge des www: Das gleichzeitige Lesen und Bearbeiten von Webseiten im Browser. Diese Ursprungsidee geriet eine Zeit lang aus dem Fokus der Internetpräsenzen und flammte dann wieder auf mit der Entwicklung zum Web 2.0. Dank der universellen Eigenschaften sind Wikis bestens gerüstet für das Lehren und Lernen in der Informationsgesellschaft (Moskaliuk, 2013).

Trotz dieser kurzen Lebenszeit von Wikis, liegt bereits viel wissenschaftliche Literatur dazu vor. Herausstellen möchte ich zwei Werke:

  • “Der Wiki-Weg des Lernens – Gestalten und Begleiten von Lernprozessen mit digitalen Kollaborationswerkzeugen“ von Michele Notari und Beat Döbeli Honegger (2013a). Die Verfassenden geben hierin eine gute Übersicht zum aktuellen Stand der Forschung und geben Hinweise und Anregungen für die Praxis.
  • “Exploring participatory learning through wiki: A review of literature.” von Liping Deng (2018). Die Verfassende analysiert darin 110 Arbeiten zum partizipativen Lernen mit Wikis: Seit 2007 entstehen Studien zu diesem Thema, ein regelrechter Boom trat zwischen 2009 und 2013 auf. Liping Deng sieht den Grund hierfür vor allem in der technologischen Entwicklung und der steigenden Verfügbarkeit, etwa von Google Docs und Integrationen von Wiki-Funktionen in populäre Lern-Management-Systemen (z.B. Moodle).

In vielen wissenschaftlichen Artikeln werden Wikis mit Blogs verglichen und deren Eignung für verschiedene Lernsettings getestet. Diese Entwicklung ist meiner Ansicht nach aber nicht so zielführend, da es sich um zwei sehr unterschiedliche Tools handelt, die grundverschieden funktionieren und wirken.

Es ist sehr auffällig, dass der deutschsprachige Raum der internationalen Entwicklung im Bereich des Wiki-Einsatzes in Lernkontexten weit hinterherhinkt. Als Gründe kann ich mir vorstellen:

  • Schlechte technische Voraussetzungen in Bildungseinrichtungen
  • Mangelnde Kenntnisse im Umgang mit Wikis und deren Syntax auf Seite der Lehrenden
  • Skepsis gegenüber der pädagogischen Wirksamkeit

Wikis als Chance in Lernsettings

Wikis bauen auf den Gegebenheiten des Web 2.0 und einer vernetzten Welt auf. Offene Wiki-Projekte, Schulwikis und Firmenwikis zeigen, dass die Einfachheit der Anwendung den Ansprüchen der Welt gerecht werden kann. Wikis stellen nicht nur eine mögliche Antwort auf die aktuellen Anforderungen der Informationsgesellschaft dar, sondern sind auch für ein Lernen förderlich, das sich gemäß der aktuellen Vorstellung des gemäßigten Konstruktivismus vollziehe (Moskaliuk, 2013). In einer zunehmend digitalen und vernetzten Welt, stellen Wikis eine Form der Ordnung und Kollaboration dar, die unabhängig von Altersgruppen genutzt werden kann, zumal Wikis zu gesellschaftlicher Teilhabe und der Entwicklung von Mündigkeit beitragen können.

Bezogen auf konkrete Lernkontexte können in Wiki-Systemen auf einfache Weise Informationen von Lehrenden und Lernenden bereitgestellt, erarbeitet und bearbeitet werden, wobei Lehrende einzelne Lernschritte von Lernenden mithilfe der Versionskontrolle eines Wikis nachvollziehen können, um Rückmeldungen zu geben. Auch Lernende können so ihre eigenen Schreibprozesse nachvollziehen und reflektieren. Über die Recherche, den Austausch, das gemeinsame Erarbeiten, das gegenseitige Korrigieren und das Erstellen und Erkunden von Verknüpfungen entstehe eine inhaltliche Auseinandersetzung, die dem konstruktivistischen Bild von Lernen entspreche (Moskaliuk, 2013).

Durch das individuelle und gemeinsame Erschaffen entsteht ein Lernprodukt, aber auch ein kollaborativer Prozess, den es zu reflektieren gilt. Bei Wikis handelt es sich um selbst verfasste Texte, was auch die stetige Prüfung der Inhalte erforderlich macht. Teilnehmende verfassen Texte, müssen aber auch gelesene Texte auf ihre Gültigkeit hin überprüfen. Zum einen konstruieren sie also Wissen und bereiten dieses so auf, dass es für andere nachvollziehbar und prüfbar erscheint. Zum anderen prüfen sie die bereits vorhandenen Inhalte und müssen nach Anknüpfungspunkten und Verbindungen suchen. So kann die Arbeit im Wiki die Teilnehmenden zu kritischem Denken anregen und für die Arbeit mit Quellennachweisen sensibilisieren.

Wikis können für einzelne Projekte, für Institutionen oder nur für einzelne Aufgaben verwendet werden. Sie bieten ein besonderes Potential zum kollaborativen Schreiben und Arbeiten. Studien belegen zudem, dass die Akzeptanz von Wikis bei guter Eiweisung sehr hoch ist.

Beispielaufgaben für Wikis

Um eine Vorstellung davon zu geben, wie die Arbeit mit Wikis aussehen kann, hier einige Beispiele:

  • Gemeinsames Erstellen von Zusammenfassungen
  • Kollaboration Recherche- Organisation, Strukturierung und Absprachen über die Diskussionsseite
  • Ergebnisse auf der Wiki-Seite
  • Gemeinsames Übersetzen
  • Projektdokumentation
  • Erstellen von Anleitungen und Formeln
  • Zusammenfassung von zusammenhängenden Lerneinheiten

Für viele Aufgaben bietet es sich an Rollen festzulegen, um die Arbeit von vornherein etwas zu strukturieren. Es bietet sich nicht an verschiedene Hierarchien zu bilden, wohl aber Aufgaben untereinander zu koordinieren, wobei die Verantwortungsbereiche abgesteckt werden. Für das Endergebnis sind wiederum alle Beteiligten verantwortlich. Mögliche Rollen sind:

  • Verfassende (Schreiben von Entwürfen)
  • Peer-Review (Inhaltliche Korrektur und Ergänzung von Entwürfen)
  • Korrektur (Strukturelle Korrektur im Gesamtkontext)

Bei mehreren Aufgaben besteht die Möglichkeit, dass auch Rollen gewechselt werden. Bei der Verwendung von Wikis sollte zudem mit weniger komplexen Aufgaben angefangen werden, bevor komplexere Aufgaben gestellt werden. So ist ein leichterer Einstieg in die Wiki-Arbeit gegeben, der nach einer ersten leichten Aufgabe auch persönlich reflektiert werden kann.

Die Möglichkeiten der Arbeit in einem Wiki beschränken sich nicht nur auf geschlossene Lerngruppen. Durch die ständige Verfügbarkeit und die möglichen Kommunikationsformen könnte auch Lerngruppen-übergreifend gearbeitet werden, auch mit Gruppen in anderen Ländern.

Literatur

Beißwenger, M., Storrer, A. (2010). Kollaborative Hypertextproduktion mit Wiki-Technologie. Beispiele und Erfahrungen im Bereich Schule und Hochschule. In E.-M. Jakobs, K. Lehnen, K. Schindler (Hrsg.), Schreiben und Medien: Schule, Hochschule, Beruf. Abgerufen von http://www.studiger.tu-dortmund.de/images/Preprint-prowitec-2.pdf

Deng, L. (2018). Exploring participatory learning through wiki: A review of literature. International Journal on E-Learning, 17(4), 453–478.

Moskaliuk, J. (2013). Wissenskonstruktion mit Wikis. In M. Notari, B. Döbeli Honegger (Hrsg.), Der Wiki-Weg des Lernens: Gestalten und Begleiten von Lernprozessen mit digitalen Kollaborationswerkzeugen (1. Auflage, S. 40–48). Bern: Hep, der Bildungsverlag.

Notari, M., Döbeli Honegger, B. (Hrsg.). (2013a). Der Wiki-Weg des Lernens – Gestalten und Begleiten von Lernprozessen mit digitalen Kollaborationswerkzeugen (1. Auflage). Bern: Hep, der Bildungsverlag.

Notari, M., Döbeli Honegger, B. (2013b). Mit einem Wiki im Unterricht zusammenarbeiten – aber wie? In M. Notari, B. Döbeli Honegger (Hrsg.), Der Wiki-Weg des Lernens: Gestalten und Begleiten von Lernprozessen mit digitalen Kollaborationswerkzeugen (1. Auflage, S. 61–69). Bern: Hep, der Bildungsverlag.